Nachlese zum Tomatenzüchter-Workshop mit Tom Wagner am 14. Oktober 2009 im Schulbiologiezentrum Hannover
Im Rahmen der AG Patenschaften im VEN wurde ein Workshop mit dem amerikanischen Züchter Tom Wagner als Angebot an VEN-Mitglieder und Interessierte veranstaltet. Rund 30 Personen haben teilgenommen und sich aktiv an den Diskussionen und mit am Rande aufgebauten Präsentationen beteiligt. Mit dieser Zusammenfassung wollen wir allen, die nicht kommen konnten, nachträglich einen Einblick in diesen Workshop geben.
Nach einem einführenden Überblick von Ursula Reinhard über die Vielfalt der geschätzt weltweit 10 – 20.000 Tomatensorten und die Arbeit des VEN begann Tom Wagner aus seiner langjährigen Erfahrung in der Züchtung vor allem von Tomaten- und Kartoffelsorten zu berichten. Dieser Teil wurde simultan von der Dipl.- Agraringenieurin Ursula Gröhn-Wittern übersetzt, da auch Teilnehmer, die sich des Englischen mächtig glaubten den differenzierten Ausführungen nicht immer folgen konnten.
Aufgewachsen auf einer Farm in Kansas (USA) begann Tom Wagner schon früh mit eigenen Kreuzungs- und Züchtungsversuchen und führte diese auch während seines Studiums und diverser beruflicher Stationen fort. Heute lebt er als freischaffender Pflanzenzüchter, Referent und Betreiber der Firma Tater-Mater-Seeds in Everett (USA) ca. ½ Stunde von Seattle entfernt. Um sein Wissen, aber auch seine Begeisterung für die Möglichkeiten der Pflanzenzüchtung weiterzugeben führte er im Herbst 2009 eine ganze Serie von Workshops in zahlreichen europäischen Ländern durch, unter anderem in Dänemark, Österreich, Irland, Wales, Deutschland, Frankreich und England. Zu Deutschland hat er durch seine Großmutter eine besondere Verbindung, da diese 1888 aus der Gegend von Oldenburg ausgewandert war.
„Green Zebra“
Themen seines Vortrags waren unter anderem die Züchtungsgeschichte der, ausgehend von vier älteren Sorten, von ihm geschaffenen bekannten Sorte „Green Zebra“, die Revitalisierung von alten Sorten mittels Rückkreuzung sowie Möglichkeiten der Züchtung von Krankheitsresistenzen.
Mit der Züchtung von „Green Zebra“ hatte er 1961 begonnen und 12 Jahre benötigt, bis ein akzeptables Ergebnis vorlag. Seitdem ist die Sorte von ihm stetig weiter entwickelt worden und auch als Elternteil in zahlreiche andere Sorten eingeflossen. Ein Elternteil von „Green Zebra“ selbst war die Sorte „Evergreen“, eine wohlschmeckende grüne gerippte Fleischtomate, die oben zum Einreißen und Verschorfen neigt. Vor allem letztere Eigenschaft (Crackies) vieler großfrüchtiger alter Sorten wollte Tom Wagner wegzüchten und verfolgt dieses Ziel bei allen seinen Sorten bis heute. Ein weiterer Elternteil war eine rote Zufallsmutante eines Züchters in Iowa mit attraktiven gelben Streifen, die allerdings auch zum Aufplatzen neigte. Beide Sorten wurden jeweils mit einer dritten Elternsorte gekreuzt, die vor allem keine verschorfenden Risse hatte. Die Nachkommen wurden nun miteinander gekreuzt. In der F2 Generation gab es dann eine große Vielfalt an Formen und Farben, eine davon war eine erste Tomate „Green Zebra“. Diese wurde anschließend über einige Jahre auf Aroma und Aussehen selektiert und als Sorte stabilisiert.
Sortenerhaltung
Ein wesentliches Anliegen des VEN ist die Erhaltung alter Sorten, sowohl indirekt über die Förderung deren Verbreitung durch die alljährlich erscheinende Saatgutiste, als auch direkt durch eigenen Anbau und Nutzung in der Küche. Eine Selektion auf Vitalität und sortentypische Eigenschaften ist dabei im Erhaltungsanbau immer notwendig. Sorten, die in Genbanken im Tiefschlaf gehalten werden und nur gelegentlich und durch wenige Individuen vermehrt werden, können die nötige Anpassungsleistung, z. B. an veränderte Krankheitserreger, nicht erbringen. Der VEN holt deshalb Sorten aus den Genbanken, damit sie regelmäßig angebaut werden, sie sich mit einer veränderlichen Umwelt auseinandersetzen und eine Selektion erfolgen kann.
Tom Wagners Kernanliegen ist die Züchtung. Daneben umreißt er auch kurz eine Möglichkeit, alte Sorten, die durch jahrzehntelange Inzuchtvermehrung an Vitalität verloren haben, durch Rückkreuzung zu revitalisieren. Dabei wird eine alte Sorte mit einer neuen, vitalen Sorte, z. B. Green Zebra oder eine von Toms noch neueren teilweise phytophtoratoleranten Linien gekreuzt. Die Nachkommen werden nun wieder mit der ursprünglichen alten Sorte gekreuzt, evtl. ebenso auch die Folgegeneration. Danach kann dann wieder eine Selektion auf die ursprünglichen erwünschten Merkmale der alten Sorte stattfinden.
„Grow your own hybrids!“
In 2010 wird in Oregon eine neue von ihm gezüchtete Tomate präsentiert werden, die eine annähernd blaue Schalenfarbe besitzt. Dies hat Tom Wagner erreicht, indem er Gene für die Synthese von Anthocyanen angereichert hat, auch vor dem Hintergrund der gesundheitsförderlichen Eigenschaften dieser Stoffgruppe. Mit dieser kleinfrüchtigen blauen Tomate, die bislang noch nicht benannt ist und lediglich bei ihm die Sortennummer 553-2209 hat, hat er ein weiteres Züchtungsexperiment beschrieben. So hat er diese mit „Green Zebra“ gekreuzt. In der F1-Generation gab es sehr wüchsige reich tragende Pflanzen mit großen rot und violett überlaufenen Früchten. Dieser Hybrideffekt ist ein normaler Vorgang in der Züchtung, der sich ausnutzen und prinzipiell auch im eigenen Garten erreichen lässt („Grow your own hybrids!“). Noch interessanter wurde dann die F2-Generation, die wiederum in eine unglaubliche Vielfalt von Form- und Farbvarianten aufspaltete, mit denen sich weiterarbeiten lässt. In der Züchtung sollte man sich also von Hybridsorten nicht generell abschrecken lassen. Hybride sind in der Züchtung neuer Sorten mittels klassischer Kreuzungstechniken ein notwendiges Zwischenstadium. Auf diesem Wege kann die große genetische Vielfalt bei Tomaten nicht nur in Gestalt alter Sorten erhalten werden, sondern in einem noch umfassenderen Sinne gemehrt und lebendig gehalten werden.
Damit soll allerdings nicht die Problematik verharmlost werden, dass im Handel der Anteil samenfester Sorten immer weiter zurückgedrängt wird. Da F1-Hybride nicht unmittelbar und mit ihren Eigenschaften nachgebaut werden können, fördern diese prinzipiell die Abhängigkeit von zunehmend wenigeren, dafür umso größeren Saatgutkonzernen. Zudem werden in der Regel die Elternsorten und deren Eigenschaften nicht mitgeteilt, so dass auch die Verwendung für eigene Züchtungen erschwert wird.
Dabei ist es zumindest bei Tomaten und anderen selbstbefruchtenden Kulturen immer möglich, durch Selektion wieder zu sinnvollen samenfesten Sorten zu kommen, wenn man über mehrere Generationen viele Pflanzen anbaut, deren Unterschiede beschreibt, die erwünschten Eigenschaften nutzt und mit ihnen weiter arbeitet. Eine genaue Buchführung ist dabei unerlässlich.
Kartoffeln
Die wirkliche Liebe Wagners gilt aber der Kartoffel. Und so gibt es bei dem Tomatenworkshop auch einen kleinen Ausflug zu Züchtungserfahrungen mit Kartoffeln. Auch hier führt er eine verblüffende Vielfalt an Farben und Formen vor. So gibt es z. B. Sorten aus Peru, die nach fünf Minuten Kochzeit bereits gar sind. Er versucht, bei der Züchtung von Kartoffeln (wie bei Tomaten) die vielen guten Eigenschaften zu nutzen und zu verstärken. Das gilt auch für den roten und schwarzen Farbstoff von alten südamerikanischen Kartoffelsorten, der „gut für vieles“ ist und z. B. gegen Krebs und Falten wirken soll. Wagner hat festgestellt, dass Sorten mit blauen Stielen und Knollen einen Stoff enthalten, der den Sonnenschutz erhöht, so dass sie nicht so anfällig dafür sind, grüne Stellen zu bekommen, wenn die Knollen dem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Im Vergleich, so Tom Wagner, werden im Boden die blauen Kartoffeln von Mäusen stärker benagt, was durchaus ein Hinweis auf größeren Wert der blauen Sorten sein kann.
Einer seiner früheren Versuche war es, Tomaten auf Kartoffeln zu veredeln. Dies ist prinzipiell möglich, da die Arten recht nahe miteinander verwandt sind. Allerdings ging dann zu wenig Kraft in die Knollen, um brauchbare Kartoffeln und zu wenig in die Früchte, um gute Tomaten zu ernten.
Kraut- und Braunfäule
Bei Tomaten und Kartoffeln ist immer auch das Zuchtziel einer Resistenzen gegen die Kraut- und Braunfäule (Phytophthora infestans, „late blight“) ein wichtiges Thema. So konnte Tom Wagner von beeindruckenden Erfolgen berichten. Auf Fotos ist ein Acker mit Kartoffeln zu sehen, bei denen fast alle Pflanzen von der Kraut- und Braunfäule vernichtet sind, einige Pflanzen aber erkennbar gesund waren. Mit diesen Pflanzen wurde weitergezüchtet. Die Sorte 553-2209 ist z. B. eine blaue Kartoffel mit einer hohen Phytophthoratoleranz. Ähnliche Bilder führt er auch mit Tomaten vor. Die Linien, in denen er Gene konzentriert hat, die eine Toleranz gegen Phytophthora bewirken, können nun mit anderen Sorten gekreuzt werden, um diese Eigenschaften dort einzubringen.
Da sich Erreger aber auch verändern und sich in immer wieder neuen Varianten verbreiten, kommt man nie abschließend zum Ziel und erreichte Toleranzen werden über die Jahre wieder abgebaut. Es ist notwendig, durch Züchtung die Sorten immer wieder anzupassen. Letztlich handelt es sich dabei um einen kontinuierlichen und nicht absehbar endenden Prozess, quasi einer Koevolution im Sinne der klassischen Evolutionstheorie. Voraussetzung dafür ist, dass Sorten in sich genetisch vielfältig sind, damit sie auf sich verändernde Klimasituationen und Krankheiten reagieren können. Und sie müssen dazu der Dynamik des Anbaus ausgesetzt sein.
Insbesondere in Bezug auf die Phytophthora-Toleranz kommt als weiteres Problem hinzu, dass die besten Erfolge bei heterozygotem Erbmaterial erzielt werden, d.h. am einfachsten bei Hybriden. Bislang ist Wagner keine genetische Veranlagung bekannt, die als Homozygote eine sichere Resistenz gegen Kraut- und Braunfäule bietet. Auch bei dem bisherigen Angebot sogenannter resistenter Sorten handelt es sich durchweg um F1-Hybriden. Allerdings haben diese Sorten ihre Eigenschaften nie durchgängig und langfristig gezeigt und sind somit auch nie sonderlich erfolgreich geworden. Auch von gentechnischen Veränderungen wären allenfalls kurzfristige Erfolge in Bezug auf dieses Merkmal zu erwarten. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind daher in keinem Fall eine Lösung gegenüber der Kraut- und Braunfäule.
Hingewiesen wurde in diesem Zusammenhang auf Forschungen an der Uni Göttingen. Hier betreibt ein Team um Dr. Bernd Horneburg vom Dreschflegel e.V. seit etwa 2003 ein Projekt mit dem Ziel, die Freilandtauglichkeit von Tomatensorten zu erforschen und geeignete samenfeste Sorten zu züchten. Nach sechs Jahren gibt es bereits erste Erfolge und erste Sorten sollen zur Zulassung angemeldet werden.
„Biene spielen“
Nach viel Theorie gab es noch eine praktische Einführung in die Bestäubung von Tomaten. Zum Glück gab es im Schulbiologiezentrum in Hannover Ende September noch genügend ungeöffnete Tomatenblüten. Tom Wagner zeigte allen, wie zunächst die vorgesehene Mutterblüte durch Entfernen der Pollengefäße männlich steril wird. Dies muss geschehen, bevor sich die Blüte öffnet, da es sonst schon zur Selbstbefruchtung gekommen sein kann. In diesem Zusammenhang wies Tom darauf hin, dass man gute Blüten auswählen sollte, die über nur einen Fruchtknoten verfügen, da mehrere Fruchtknoten in einer Blüte in der Regel die Ausbildung von unförmigen Früchten mit den ungeliebten Crackies begünstigen. Danach wird von der vorgesehenen Vaterblüte vorsichtig Pollen auf ein dunkles Glas ausgeklopft und dieser dann mit einem Pinsel vorsichtig, aber gründlich auf den Stempel der entmännlichten Blüte aufgetragen. Nicht zuletzt ist dann noch eine Markierung der Blüte notwendig. Insgesamt ist hier ein sehr feines und sorgfältiges Arbeiten nötig, welches sicherlich ein wenig Übung verlangt.
Als Basis für eine Selektion und weitere Zucht baut er pro Absaat bis zu 50 Pflanzen an, von denen er je eine Frucht für die Samengewinnung nutzt. Um bei den vielen Herkünften und Absaaten nicht durcheinander zu kommen, ist immer eine sorgfältige Pflaanzenkennzeichnung und Buchführung notwendig, die jeweils die Elternsorten und die Anzahl der Generationen seit einer Kreuzung vermerkt.
„My seeds are your seeds.“
Tom Wagner vertritt die Ansicht, dass Saatgut frei verfügbar sein sollte. So gibt er auch gern eigenes Saatgut weiter. Die Aussaat kann natürlich einfach aus Interesse und Freude an den vielfältigen von ihm geschaffenen Sorten und Linien erfolgen. Ganz besonders aber würde er sich freuen, wenn möglichst viele Menschen selbst die Freude am Kreuzen und Züchten entdecken und damit sowohl sein Erbe fortführen, als auch sich an der Erhaltung und Mehrung der genetischen Vielfalt generell beteiligen. Viele seiner Linien lassen sich auch für gezielte Kreuzungen verwenden. So hat er z.B. mit der Tomatensorte 203-2209 eine Tomate entwickelt, die kältetolerant ist, lange grün bleibt, nicht weich wird und lange hält. Mit dieser Sorte hat man z. B. einen Kreuzungspartner für eine Tomate mit guter Lagerfähigkeit.
Tom Wagner ist es wichtig, dass Züchtung nicht nur von großen Unternehmen betrieben wird, sondern auch "von unten", von den Gärtnern und Nutzern selbst. Dieses Anliegen zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Vortrag. Er macht immer wieder deutlich, dass wir keine gentechnisch veränderten Sorten brauchen. Viele gewünschte Eigenschaften verbergen sich im Genpool und können durch einfache Züchtungstechniken hervorgeholt werden.
Bei der Züchtung vor allem von komplexen Merkmalen geht es oft um etliche einzelne Gene und deren Zusammenwirken (z. B. Dominanz). Hierzu gibt er auf seinen Internetseiten, bzw. in Diskussionsforen bereitwillig und gern Auskunft (in englischer Sprache).
Sondersendung bei Radio Flora zum Tomatenzüchter-Workshop mit Tom Wagner